Es gibt Jobs, die macht man, um Geld zu verdienen. Und dann gibt es Jobs, die schleichen sich in dein Leben, bis du irgendwann merkst: Das hier ist mehr als nur Arbeit. So war es bei mir mit dem Kellnern. Ich bin Julia, 29 Jahre alt, in Köln geboren, im Bergischen aufgewachsen – und gefühlt mein Leben lang mit einem Tablett in der Hand unterwegs.
Ich habe in urigen Veedelskneipen serviert, in schicken Restaurants am Rhein Steaks für Geschäftsleute aufgetragen und in hippen Ehrenfelder Cafés Flat Whites an Digital Nomads ausgegeben. Ich habe Kölsch gezapft, Teller balanciert, Trinkgeld gezählt – und Geschichten erlebt, die ich so schnell nicht vergesse. Denn wer kellnert, bekommt nicht nur einen Job, sondern eine Art interaktive Stadtführung durch Köln und seine Menschen. (Foto: IMAGO / Ralph Peters)
Zwischen Kölschgläsern und Lebensgeschichten – jedes Veedel hat seine eigene Art
Kellnerin zu sein, bedeutet, in Sekundenbruchteilen Menschen zu lesen. Und in Köln bedeutet es vor allem, sich auf jedes Veedel neu einzustellen.
- In der Altstadt sind es die Touristen, die Kölsch bestellen und dann fragen, was das eigentlich ist. Die sich wundern, warum sie plötzlich ein neues Glas bekommen, wenn sie nicht schnell genug den Deckel auf ihr leeres setzen.
➡️ Da kann es sein, dass du an einem Abend zwanzig Mal erklärst, was „Kranz“ und „Deckel“ bedeuten. Trinkgeld? Gibt’s hier nur, wenn der Gast noch einen Zehner in der Tasche hat, weil die Kartenlesegeräte aus „mysteriösen Gründen“ oft nicht funktionieren.
- In Ehrenfeld erwartet man, dass du die Bio-Herkunft der Hafermilch kennst, ob das vegane Schnitzel aus Seitan oder Jackfruit ist – und ob die Pommes glutenfrei frittiert werden. Hier wird nicht einfach ein Bier bestellt, sondern ein Pale Ale aus einer Mikrobrauerei in Nippes.
➡️ Die Gäste sind entspannt, aber erwarten Service auf Augenhöhe. Trinkgeld? Ja, aber gerne in kleinen Münzen, denn Bargeld wird hier sonst nur noch für den Späti gebraucht.
- In der Südstadt ist das Publikum gemischt: Zwischen alten Südstadt-Originalen, die sich seit 40 Jahren über die neuen „Hipster-Läden“ beschweren, und den Studis, die nach der Vorlesung auf ein Kölsch vorbeischauen, ist alles dabei.
➡️ Hier wird laut diskutiert, gelacht, gesungen – und spätestens nach dem zweiten Bier bist du nicht mehr die Kellnerin, sondern „et Julia“. Trinkgeld? Schwankt je nach Tagesform, aber ein gut gelaunter Theken-Opa haut auch mal ’nen Fünfer drauf, wenn du ihm sein Mühlen schneller bringst, als er „Machste noch eins?“ sagen kann.
- In Richtung Rodenkirchen und Junkersdorf erzählt meine Kellner Kollegin, dass es schon etwas feiner zugeht. Hier wird nicht einfach eine Pizza bestellt, sondern eine Burrata mit Trüffelöl – und beim Wein kommt gerne die Frage: „Haben Sie auch etwas Trockenes aus dem Rheingau?“
➡️ Kellnern hier bedeutet, seriös zu bleiben, auch wenn man innerlich lachen muss, weil jemand den Ziegenkäse „zu ziegenlastig“ findet. Trinkgeld? Gibt’s oft großzügig – wenn man den Service perfekt macht.
- In Mülheim und Chorweiler habe ich bisher noch nicht gearbeitet, weiß aber dass das Kneipen-Feeling noch echt ist. Da steht die Thekenrunde zusammen, und wenn du als Kellnerin den richtigen Spruch bringst, wirst du sofort in den Stammtisch aufgenommen. Trinkgeld? Hier ist es nicht immer viel, aber es kommt von Herzen.
Trinkgeld – ein Spiegel der Stadt
Trinkgeld sagt oft mehr über die Leute aus als ihre Bestellung.
- Die Touristen lassen mal was springen, wenn sie sich über ihren ersten Kölsch-Abend freuen.
- Die Hipster in Ehrenfeld zahlen mit Karte, murmeln aber ein schlechtes Gewissen: „Oh, ich hab kein Bargeld – sorry!“
- Die Altstadt-Wirte wissen genau, wie viel sie rausgeben, und bei Geschäftsessen in der Innenstadt gibt’s entweder gar nix oder einen 20er – je nachdem, wie gut der Deal lief.
- Und dann gibt’s die Geschichten, die in Erinnerung bleiben. Wie der Rentner in der Südstadt, der mich jedes Mal mit einem breiten Grinsen begrüßte und am Ende immer genau 1,50 Euro Trinkgeld gab – „Weil et früher für ‘ne halbe Mark noch ’nen Korn dazu gab.“
- Oder das ältere Ehepaar in Rodenkirchen, das mich nach einem chaotischen Abend extra noch zurückrief, um mir persönlich für den tollen Service zu danken – und mir einen Zehner zusteckte, mit den Worten: „Junge Leute wie Sie brauchen das doch.“
Übrigens: Bei kellnern wird man auch Zeuge von sehr vielen Dates. Das ist mal schön, manchmal auch unangenehm, aber meist lukrativ. Denn gerade beim ersten Date möchte niemand zu wenig Trinkgeld geben.
Was heißt das nun in konkreten Zahlen?
➡️ Je nach Lage kann das Trinkgeld den Stundenlohn schonmal deutlich übersteigen. Es kann durchaus vorkommen, dass man nach 4 Stunden kellnern in zentraler City-Lage mit knapp 100 Euro Trinkgeld nach Hause geht. Ich finde, das lohnt sich.
Aus dem Verliebt in Köln-Shop:Von wackelnden Tabletts und wackligen Tagen
Natürlich gab’s auch die miesen Tage. Die, an denen der Chef einem Druck macht, weil’s nicht schnell genug geht. Die Gäste, die einen ignorieren, als wäre man unsichtbar. Die Abende, an denen ich privat völlig durch war, aber trotzdem funktionieren musste – weil ein gut gelaunter Kellner eben mehr Trinkgeld bringt als einer, der aussieht, als hätte er gerade von der Ex ‘ne schlechte Nachricht bekommen.
- Aber es gab auch die großartigen Momente. Wenn sich Stammgäste wirklich für einen interessieren. Wenn man nach einer stressigen Schicht mit den Kollegen noch auf ein Feierabendbier bleibt und über den Tag lacht. Oder wenn plötzlich eine Kneipenrunde anfängt zu singen – und du mittendrin stehst, mit einem Tablett voller Kölsch und Gänsehaut.
Kellnern war für mich nie einfach nur ein Job. Es war eine Schule des Lebens, eine Tour durch die Seele Kölns, ein Blick auf die besten und schlimmsten Seiten der Menschen.
Heute stehe ich nicht mehr jeden Abend hinterm Tresen. Aber wenn ich in einem Café sitze und sehe, wie eine gestresste Kellnerin sich durch den vollen Laden kämpft – und dann der Typ am Nebentisch sagt: „Stimmt so“ – dann hoffe ich, dass es einer der guten Tage für sie ist.
Und falls nicht? Dann bestelle ich mir noch einen Kaffee – und gebe Trinkgeld und schenke ein warmes Danke. Weil ich weiß, wie viel das ausmacht.