Die meisten Leute gehen ahnungslos vorbei. Der wer genau hinschaut, der entdeckt am Turm des Kölner Rathauses sehr wunderliche Skulpturen.
Erzbischof Conrad von Hochstaden ist Figur Nr. 27 von insgesamt 124 Skulpturen, die sich am Turm des Historischen Rathauses der Stadt Köln befinden. Sie ist im 1. Obergeschoss an der Westseite angebracht und schaut auf den Vorplatz des Rathauses.
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Fotos: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 /
Dietmar Rabich / „Köln, Historisches Rathaus — 2014 — 1912“ / CC BY-SA 4.0
Hier stehen in der Regel Brautpaare (und vielleicht auch irgendwann mal Spieler des 1. FC Köln mit der Meisterschale). Im 1. OG finden sich Persönlichkeiten, die sich um die Stadt verdient gemacht haben.
Der Erzbischof ahnt aber vielleicht nicht, was sich jenseits seines Blickfeldes abspielt: Unter seinen Füßen hat ein Mann seine Hose heruntergelassen und … nunja, wie soll man es beschreiben?
Ich versuche es mal ganz nüchtern: Ein Mann bückt sich mit heruntergelassener Hose und hat sein eigenes Geschlechtsteil im Mund. Der sexuelle Fachbegriff hierfür heißt Autofellatio.
Die Figur ist nicht neu: Es gibt sie bereits seit 1410 am Kölner Rathaus (mittlerweile ist es eine Kopie der Original-Figur). Zu wahrer Berühmtheit gelangte sie allerdings erst im Jahr 2019, als ein englischsprachiger Account auf dem Online-Dienst Twitter zwei Fotos einstellte, die sich tausende Male verbreiteten. Die Folge: Alle Medien berichteten plötzlich groß über den Figur.
Was hat es mit der Sex-Figur auf sich?
Fest steht: Bei der Darstellung von gewissen Aktivitäten war man vor 600 Jahren jedenfalls offenbar wenig zimperlich. Die Figur spielt auf die sieben Todsünden an, zu denen auch die Wollust gehört. Kurz gesagt: Sie sollte die Menschen vor Selbstbefriedigung warnen. Die Quote der Alphabetisierung unter den Menschen war damals deutlich geringer. Für diese Darstellung aber musste auch damals schon niemand lesen können.
Anzeige:Der Rathausturm wurde im 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört und erst 1975 in seiner alten Form wiederhergestellt. Nur wenige Figuren aus der Zeit Anfang der 20. Jahrhunderts konnten aus den Trümmern gerettet werden.
Erst 1995, also 20 Jahre später, waren auch alle Figuren am Turm angebracht (Kosten damals: 2,5 Mio. Mark), die 2008 allerdings nochmals erneuert werden mussten.
Auch Persönlichkeiten der neuen Kölner Geschichte, wie Konrad Adenauer, Edith Stein oder Heinrich Böll und Willi Ostermann sind als Figuren am Rathausturm angebracht.
Wir sehen also: Das Kölner Rathaus erzählt auch Geschichten in einer Deutlichkeit, mit der man so nun wirklich nicht rechnet.
Linktipp zum Thema: Am Rathausturm gibt es direkt unter der Uhr eine weitere interessante Figur: Der Platzjabbeck öffnet jede volle Stunde seinen Mund und streckt die Zunge raus. Hier liest du, was es mit dem bunten Kopf am Kölner Rathaus auf sich hat
5 comments
WD
„Wildpinkler“ im heutigen Sinn hat es zur Entstehungszeit des Rathausturms jedenfalls nicht gegeben. Damals stand schon in diversen Knigge-Büchern, dass man sein Geschäft am besten im Rinnstein auf der Straße verrichten sollte, während das Treppenhaus eher nicht empfohlen wurde (steht irgendwo in „Über den Prozess der Zivilisation“ von Norbert Elias)
Gerd Frentrop
Die Koelner Buerger hatten es nicht mit Autoritaeten wie Erzbischoefen und Kurfuersten. Es ist eher mit dem Kallendresser am Alter Markt zu vergleichen. EINE drastiche Aeusserung zur historischen Person.Die ehemalige koelsche Mundart hatte baeuerliche Grundstrukturen. So laesst sich die FIGUR eher interpretieren.
Anonymous
Ich nehme an, es handelt sich um das große Geschäft, das in den Rinnstein gemacht wurde. Dresser und Driss sind verwandt.
Ilse Schmid
Zum Thema Kallendresser: Die „Kall“ ist der Rinnstein, der Kallendresser war für mich bisher das kölsche Wort für Wildpinkler. Nachdem ich die Figur auf dem alter Markt kenne, halte ich es für möglich, dass in den Städten auch die Dachrinnen für das kleine Geschäft benutzt wurden, ohne jede weitere Absicht.
Gerd Frentrop
Der Kallendresser koennte, wie die hier interpretieren FIGUR unterhalb der FIGUR des Erzbischofs, Konrad von Hochstetten, ein Ausdruck der Koelner Buerger schaft zu den getroffen en Ratsbeschluessen darstellen.